Der Vollblüter aus der Fundgrube

 

© Otmar Beyer de Béhaux

 

" Vollblut ist der Saft, der Leistung schafft ", wobei man mir die Verdrehung verzeihe. Leider ist dies aber nicht immer der Fall. Wenn man ehrlich ist, muß man sogar zugeben, daß die meisten Vollblutveredler sogar negative Auswirkungen hatten. Dies ist ein Grund mehr, diejenigen, die eine positive Vererbung zeigen zu hegen und zu pflegen, sogar noch nach ihrem Abtreten von der Bühne.

Die Holsteiner scheinen sich jetzt darauf zu besinnen, daß sie neben den beiden hochgelobten Veredlern der 70iger Jahre, Ladykiller und Marlon, noch eine ganze Reihe anderer Vollblüter in Diensten hatten, die man auch nicht vergessen sollte. Leistungsmäßig ragt unter diesen Sacramento Song hervor, der aber leider nur als Privathengst in Holsein stand, anderenfalls er sicher an Bedeutung hinter seinen berühmten Kollegen nicht zurückgestanden hätte. Damals war ein Statut ‘Privathengst’ fast noch gleichbedeutend mit einer sehr geringen Benutzung.

Sacramento Song, angekauft in England, brachte jedoch in der Vererbung nicht die mittelmäßige Perfektion, die von allen Hengsten erwartet wird. Er machte etwas viel Temperament, viel (zuviel ?) Springvermögen, manchmal auch viel Charakter und oft wenig Grundgangarten. Dazu war die Rittigkeit nicht die beste, wobei dies aber nur teilweise an Maulschwierigkeiten lag, sondern wahrscheinlich noch mehr an der Angst der Reiter vor hitzigen Pferden.

Sacramento Song deckte von 1973 bis 1979, als er 22 jährig starb. Er hinterließ der Holsteiner Zucht leider noch nicht einmal 100 eingetragene Stuten. Obwohl er gerne an die schweren Stuten alter Holsteiner Abstammung angepaart wurde, entsprachen seine Nachkommen dem gewünschten, also stark veredelten, Typ des modernen Reitpferdes.

Als dann nach Jahren die hervorragende Leistungsvererbung erkannt wurde, wurde einer seiner Söhne, Sympatico, 1986 gekört, starb aber noch am Ende seiner ersten Decksaison. Vor einigen Jahen wurden dann nacheindander zwei weitere Söhne gekört, übrigens über die Leistung genau wie ihr Halbbruder. Von diesen ist der ebenfalls holsteinisch gezogene Sacramento Son leider auch schon unter der Erde und es bleibt der teilweise hannoveranisch gezogene Sandro, dessen Vererbung aber, zumindest typmäßig, nicht den Erwartungen der Holsteiner Züchter entspricht.

Da im Mannestamm also kaum noch etwas zu erwarten ist, scheint man sich jetzt verstärkt den Stuten zuzuwenden. Schon Ende der 80iger Jahre wurden die beiden Vollbrüder Lavall I und II, von Landgraf aus einer Sacramento Song-Wahnfried-Mutter (also Dreiviertelschwester zu Sandro, jedoch aus altem Holsteiner Geschlecht), angekört. Es folgten ein Capitol-Sohn mit einer Bilderbuchabstammung, Sacramento Song-Cottage Son, im Habitus des Vaters und ein ebenfalls erstklassig gezogener Corde-Sohn (aus einer Stute Capitol-Sacramento Song), der leider ein Fuchs ist und deswegen, trotz weit überdurchschnittlicher Vererbung, nach Belgien (ja, ja, wir wissen wo er steht ...) abgegeben wurde. Letzter im Bunde ist der 1990 geborene Schimmelhengst Campesino, von Capitol aus einer Sacramento Song-Tin Rod-Korenbleem-Mutter.

Über die Vererbung dieser Hengste läßt sich leider noch nicht viel sagen, außer daß die beiden Lavalls sicher zu den besseren Landgraf-Söhnen gehören und Coriall weg vom Fenster (aber vielleicht haben die Holsteiner ja jetzt mehr Glück als 1970 ... und der Hengst kommt wieder zurück) ist. Campesino hat gerade erst seinen ersten Fohlenjahrgang gezeigt. Campione hat jedoch voll eingeschlagen und gehört sicher zu den Spitzenvererbern der Zukunft, falls die Leistungsvererbung auch nur in etwa der Exterieurvererbung entspricht. Seine ersten Fohlen sind ja gerade erst zweijährig.

Man sieht, die Zuchtleitung versucht die Fehler der Vergangenheit (keiner ist ja unfehlbar) auszumerzen. Doch damit noch nicht genug. Schaut man sich die Abstammungen der Staatsprämienstuten 1994 an, dann fällt auf, daß Sacramento Song xx zu den meistgeführten Vollblütern zählt.

Trotz der manchmal nicht idealen Vererbung dieses sicher hochinteressanten Hengstes haben es die Holsteiner Züchter geschafft, seine typischen Fehler aus der Nachkommenschaft auszumerzen.

Es fehlt jetzt nur noch ein Mann (oder eine Frau), mit genug Mumm in den Knochen, Urteilsvermögen sowie Pferdeverstand, der eine Inzucht auf Sacramento Song versucht. Der Hengst selbst hat sicher die Qualität dazu, jdoch darf man natürlich nicht die Augen vor den Fehlern verschließen. Dies heißt, daß die Rittigkeitsprobleme, sowie die mangelnden Grundgangarten ausbalanciert werden müssen. Aber dies muß ja nicht in einem Schritt erfolgen. Mehrere kleine tun es ja auch ! Und Vererber, die diese Qualitäten mitgeben, gibt es ja in Holstein genug, man denke an Calypso I (der ja jede Menge ganggewaltiger Töchter hat), vielleicht ist er ja auch schon ‘mal an eine Sacramento Song-Stute angepaart worden, oder Capitol, der ja beide Fehler korrigieren kann. Wegen der, der Inzucht innewohnenden, Gefahren, sollte jedoch nur ein gestandener Züchter diesen (oder diese) Versuch(e) unternehmen.

Vielleicht könnte man so dann ja in einigen Jahren die Hengstlinie wieder ins Leben rufen, wer weiß ?

Die Kenner der Holsteiner Zucht werden mit jetzt vorwerfen, daß ich fünf Jahre hinter dem Zuchtgeschehen herlaufe. Die oben schon genannten Hengste mit Sacramento Song im Mutterstamm stammen nämlich schon aus einer Epoche, als Sacramento Song " Modehengst " war.

Diese Züchter sollten aber bedenken, daß :

  1. auch Moden zyklisch sind und wiederkommen können.
  2. sich die Ausgangsbedingungen seit jener Zeit geändert haben.
  3. es sich keine Zucht leisten kann, einen stark überdurchschnittlichen Leistungsvererber, einfach aus der Zucht verschwinden zu lassen.
  4. die Züchterschaft gewachsen ist und neue Leute bedeuten (meistens) auch neue Ideen.

Moden bestimmen die Zucht ! So gab es eine Mode Cor de la Bryere, dann eine Mode Ladykiller. Und Moden kommen immer wieder, wenn auch mehr oder weniger leicht verändert. So sollte man auch heute einer Wiederentdeckung Sacramento Song’s sicher nicht die alten Argumente entgegenstellen, denn die Situtation ist heute sicher eine andere wie damals. Das Vollblut ist wieder im Vormarsch, die Cor de la Bryere-Linie hat mit Calypso I einen ihrer Hauptträger verloren. Ähnliches gilt für Lord und die Linie des Ladykillers und das totale Abtreten Landgraf’s von der Zuchtbühne kann nur noch eine kurze Frage der Zeit sein. Auch der letzte sichere Vertreter der Cottage Son-Linie, Capitol, verliert an Boden. Zur Zeit sieht es sogar nach totalem Ausscheiden aus der Zucht aus. Wo liegen dann die neuen Zuchttendenzen ? Diese nur in Fortführung der letzten Jahre zu suchen wird sicher keinen Fortschritt bringen. Die Holsteiner Zucht ist stark auf Springen ausgerichtet. Obwohl mit stark überdurchschnittlicher Leistungsvererbung ist Marlon dieser monopolisierung schon zum Opfer gefallen, da seine Stärke auf der Dressur lag. Weiterhin ist Sacramento Song der, zumindest von der Leistungsvererbung her, beste Vollblüter, der je in Holstein aufgestellt war. Man kann ihn nicht so einfach vergessen. Seine relativ geringe Bedeutung liegt daran, daß ihm als Privathengst nicht nur wenige, sondern auch qualitätsmäßig unterschiedliche, unterdurchschnittliche Stuten zugeführt wurden. Seine Bedeutung muß deswegen nur noch höher eingeschätzt werden. Dieser Tatsache muß Rechnung getragen werden und ein junger, nicht mit den Vorurteilen seiner alten Kollegen, belasteter Züchter sollte (muß unbedingt) hier auf die Hilfe einer aufgeschloßenen Zuchtleitung zählen können.